Vor 65 Jahren: Die "Egerer Zeitung" im März 1945
(Hermann Stock)
(2. Fortsetzung)

 

Kriegsverlauf:

Der Krieg findet nun endgültig nur mehr auf dem Boden des Reiches statt, im OKW-Bericht tauchen keine Schlachtorte mit nichtdeutschen Namen auf, wer Deutschland kennt, braucht keinen Atlas mehr zur Verfolgung des Frontverlaufes, in Schlesien wird gekämpft, Köln (oder was davon übrig ist) "leidet unter anglo-amerikanischer Knute". Ende März wird Frankfurt a.M. umkämpft sein, für die "Rückgeführten" - das Wort "Flüchtlinge" schleicht sich erst nach und nach ein - muß auch in Eger und in den Orten des Egerlandes Wohnraum zu Verfügung gestellt werden. Mehr denn je wird an das Volk appelliert, durchzuhalten und auf eine wundersame Wendung zu hoffen. In diesem Sinne ist eine Rundfunkrede Goebbels, die am 1. März fast ganz Seite 1 und 2 einnimmt mit der Schlagzeile: "Ein Krieg ohne Vergleich und Beispiel / Wir schämen uns der Rückschläge nicht / Lebenswille überwindet Krise / Deutsches Volk im Eisenpanzer der Standhaftigkeit / ..." Tenor der Rede ist vor allem, daß sich das Reich in der mißlichen Lage befinde wie die Sowjetunion und England 1940/41, und wie diese Länder die Lage für sich ändern konnten, so könne dies erst recht das Reich."Es ist klar, daß wir die Gebiete, die wir verloren haben, zurückholen werden und müssen; wann und wie, darüber kann natürlich heute öffentlich noch nicht gesprochen werden ... Wie unsere Väter so oft in der Geschichte, so werden auch wir den Sturm der Mongolen gegen das europäische Kernland brechen. Wir werden uns wie sie mit einer fanatischen Wut und einem zähen Haß dagegen verteidigen, daß auch von uns einst die Sage berichten kann, die Toten hätten nach den Tagen der heißen Schlachten in den dunkel drohenden Nächten in den Lüften weitergekämpft. ... Wir gleichen heute dem Marathonläufer, der von den ihn auferlegten 42 Kilometern 35 hinter sich gebracht hat. Er wird sich in diesem Stadium der Dinge niemals in der Verfassung befinden, in der er gestartet ist. ... aufzugeben .. Dagegen hilft nur eiserner Wille zum Durchhalten. ... übrig bleiben Triumph und Erfolg. ..."

Heimatfront:

Nun, da es an der Front an allem mangelt, Treibstoff und Munition ..., wird die "deutsche Kampfmoral als "die stärkste Waffe" ausgerufen, und das gilt auch für die "Heimatfront". Denn "feige Haltung und dummes Geschwätz sichern uns nicht die Zukunft, die mit allen guten Möglichkeiten vor uns liegt. In unserer Disziplin und Pflichterfüllung allein liegt unsere Rettung eingeschlossen." Und zum Heldengedenktag bekräftigt dies auch der Führer Adolf Hitler: "... Es fällt in der Geschichte nur, was als zu leicht befunden wird und der Gott der Welten hilft nur dem, der sich selbst zu helfen entschlossen ist...Solange Widerstand zu leisten und auf die Feinde zu schlagen, bis sie am Ende müde werden und doch zerbrechen! es erfülle deshalb jeder seine Pflicht!" "Du sollst an Deutschlands Zukunft glauben!" ist nun die Devise und wer dies noch nicht verinnerlicht hat und etwas leichtsinnig ist, wird schnell eines Besseren belehrt. Ein "Verräter wird zum Tode verurteilt", der jahrelang den Londoner Sender abgehört hat; "das Urteil wurde bereits vollstreckt". Auch ein "August Zink aus Posen hörte wiederholt feindliche Hetzmeldungen ab und gab sie an eine Arbeitskameradin weiter, um diese in ihrem Glauben an den deutschen Sieg wankend zu machen. ... Das Urteil ist bereits vollstreckt." Und so liest man es jeden Tag, denn viele dieser "Verräter" werden entdeckt; es gibt keinen keinen Milderungsgrund bei der Urteilsfindung; "wenn der Täter die Merkmale des Volksschädlings aufweist, ist die bisherige Unbescholtenheit allein noch kein Grund, eine Bestrafung als Volksschädling zu verneinen." So wird auch bei einer 38jährigen Arbeiterin "das Urteil durch Erschießen vollstreckt", die aus einer Handtasche eine Armbanduhr entwendete. Aber auch in den vom Feind schon besetzten deutschen Städten können "Verräter" nicht sicher sein: "Als während des Eindringens der Anglo-Amerikaner in Mönchen-Gladbach einige ehrvergessene Elemente, die den Namen Deutsche nicht verdienen, versuchten, Fahnen des Reiches zu verbrennen, wurden sie von Volkssturmmännern gestellt. Die Volkssturm- männer, die auch in der Stunde höchster Gefahr die Ehre der bis zum letzten vorbildlich kämpfenden niederrheinischen Stadt verteidigten, erschossen die Verräter. Auch der von den alliierten Militärbehörden als Bürgermeister von Aachen eingesetzte Franz Oppenhof wurde in der Nacht zum Mittwoch „von deutschen Freiheitskämpfern getötet“. Ergänzend wird hierzu mitgeteilt, daß ein Gericht zur Wahrung der deutschen Ehre den treulosen Verräter sofort nach Antritt seines Amtes im Solde des verhaßten Feindes zum Tode verurteilte. Das Urteil wurde in der Nacht zum Mittwoch durch Erschießen vollstreckt." Nur unsympathische, verdächtige Typen stellen sich den Alliierten zur Verfügung: "In dem Trümmerfeld, das einmal die Stadt Köln darstellte, verwaltet der von der alliierten Militärverwaltung als Polizeichef eingesetzte sechzigjährige Karl Winkler, ein dicker, selbstgefälliger, dunkeläugiger Jude, ziemlich vergnügt sein neues Amt." Aber die Bevölkerung der besetzten Westgebiete hat ein wachsames Auge auf "alle ehrvergessenen Elemente." Das gilt insbesondere auch für die Frauen und Mädchen, die sich mit angloamerikanischen Offizieren und Mannschaften abgeben. So wurden in einer linksrheinischen Stadt die Schlafzimmerfenster zweier Frauen nachts von unbekannten Tätern mit Teer überstrichen und am Haus eine Plakat angebracht mit der Aufschrift: "Ich bin ein liederliches Weibsstück und habe den Ehrentitel einer deutschen Frau nicht verdient". Eine ehrenhafte deutsche Frau verzichtet auch auf Zigaretten zugunsten der deutschen Soldaten, und das Rauchen ist bei Frauen sowieso "weder fesch noch modern".

Lebensbedingungen:

Der Kampf um das "tägliche Brot" im engeren und weiteren Sinne war wohl die Hauptbeschäftigung für die Hausfrauen. Es durfte auch nur "abgelagertes Brot" von den Bäckern verkauft werden; sie waren verpflichtet, Brot mindestens in dem Umfange eines durchschnittlichen Tagesumsatzes auf Lager zu halten. Bei den Lebensmittelzuteilungen in der 73. Periode - für März - wurden Brot-, Fett- und Nährmittelrationen gekürzt und wieder wie in der 72. Periode Fleisch gegen Fett ausgetauscht. Ende März wurde auch noch mitgeteilt, daß die gekürzten Rationen auch nicht bloß wie aufgedruckt bis zum 1. April, "sondern bis Sonntag, den 8. April, also eine Woche nach Ostern reichen müssen. Die Hausfrauen haben die Lebensmittel so einzuteilen, daß diese bis dorthin reichen." - "Insbesondere wegen der Sicherstellung der Versorgung der zahlreichen Rückgeführten aus dem Osten sind weitere Rationskürzungen erforderlich. Da in der 74. Kartenausgabe eine Ausgabe von Zucker nicht erfolgt, müssen die Verbraucher mit der Zuckermenge bis zum Ende der 74. Zuteilungsperiode, dem 29. April, reichen." Heute sind bei Sachbüchern nichts so begehrt wie Kochbücher, welche die exotischten Gerichte vorstellen. Es ist anzunehmen, daß vor 60 Jahren aus anderen Gründen als heute Küchen-Ratschläge interessierte Leser fanden. Ein Tipp zum Nachmachen wäre vielleicht der "Kartoffelkäse - Ersatz für Brotaufstrich: ...Hierzu werden gekochte Kartoffeln gerieben und mit ein wenig frischer Milch, Salz, fein gehackten Zwiebeln und Pfefferersatz recht pikant abgeschmeckt. Daraus wird ein fester Ziegel geformt, der bis zum Gebrauch kühl gestellt wird. ...im Grunde ist es nichts anderes als ein trockener Kartoffelbrei, recht kräftig gewürzt." Viel hatten ja die Männer noch lange nach dem Kriege zu leiden wegen des Mangels an Rasierklingen, und eine gebrauchte Klinge wurde nicht einfach wie heute weggeworfen. So wird darauf aufmerksam gemacht, daß die Rasierklingen zum Nachschleifen stets zum gleichen Messerschmied gebracht werden sollten, denn auf der immer gleichen Maschine könnten diese bis zu zwanzigmal nachgeschliffen werden. In Falkenau wurde durch den Bevölkerungszuwachs durch die Rückgeführten auch das Wasser knapp; Wäsche sollte deshalb an der Eger und am Lobsbach gewaschen, für Klosettspülungen Spülwasser verwendet werden. Andere Dinge des tägliche Bedarfs konnte man u. U. durch eine Warentausch-Anzeige in der Zeitung erwerben, was rege in Anspruch genommen wurde; so wurde z.B. angeboten: Damenwäche, mittl. Größe, geg. hohe Frauenschuhe; Bettwäsche, Kleid und Vorhänge gegen Damenfahrrad; Pelzmantel gegen versenkbare Nähmaschine; Schuhe, Gr. 42, gegen 43 bis 44; Herrenfahrrad gegen Leiterwagerl.

Was noch bemerkenswert wäre:

Am 15. März konnte Frau Margarete Diener in Oberndorf ihren 100. Geburtstag feiern. Sie war noch eifrige Leserin der Egerer Zeitung, die sie noch ohne Brille lesen konnte. Ein Glückwunschschreiben des Führers mit einer Geburtstagsspende von 300 RM wurde von Gauleiter Henlein überreicht.


Bei dem am 25 März 1945 auf das Kreisgebiet Eger erfolgten Feindangriff sind 57 Personen ums Leben gekommen.

Trotz der erschütternden Lage erinnerte man noch an den 175. Geburtstag Friedrich Hölderlins am 20. März.

Gefallenen-Anzeigen im März: 154