Vor 65 Jahren: Die "Egerer Zeitung" im Januar 1945
(Hermann Stock)
Schon im sechsten Jahr erduldeten die Menschen im Januar 1945 die Not und den Schrecken der Kriegsjahre, und die meisten Sudetendeutschen wußten noch nichts von der nachfolgenden Katastrophe, die über sie schon lange verhängt worden war von Regierungen, deren Abgesandte auf ein Denkmal in der Nähe Egers das Ziel ihrer Kriegsanstrengungen in Stein meißeln ließen, so daß wir das auch heute noch lesen können: " ... for freedom and peace ... ( ... für Freiheit und Frieden ...)." Diejenigen, welche diese Zeit bewußt erleben mußten, werden immer weniger, deren Erinnerungen verblassen und verändern sich. Für die Nachgeborenen bleiben wenig Anhaltspunkte, sich dem Zeitgeist zu nähern. Ein völlig unvollkommenes Mittel sind die Tageszeitungen der Zeit, da sie ja auch wie heute nur einen kleinen - wenn auch gewichtigen - Ausschnitt der Informationen bieten, die das Bewußtsein und die Wirklichkeitsempfindungen der Menschen formen. Im folgenden soll nun dargestellt werden, welche Informationen u. a. die Leser der "Egerer Zeitung" entnehmen konnten und durften; wie die Leser diese bewerteten, könnte nur von einem "Zeitzeugen" erläutert werden und kann von dem Autor dieser Zeilen natürlich nicht geleistet werden. Auch auf anderen Wegen gelangten sogar geheimgehaltene Tatsachen unter das Volk, so z. B. über die Massenverhaftungen im Herbst 1944, die das Ziel hatten, die Neubildung jeder demokratischen Opposition aus den Strukturen der Parteien der Weimarer Republik zu verhindern; in der Bevölkerung stießen die Verhaftungen auf Unverständnis und sogar höhere NS-Funktionäre beschwerten sich. Dies also nur als Hinweis, daß der Inhalt der Zeitung für die Bewußtseinsbildung der Leser nicht überbewertet werden darf.
Während der Kriegsjahre büßte die EZ an Umfang ein; so waren es im Januar 45 - im 99 Jahr ihres Bestehens, das 100. war ihr nicht mehr vergönnt - in der Regel 4 Seiten, manchmal nur 2. Das Spektrum der Themen war der Zeit entsprechend sehr eingeschränkt; das Kriegsgeschehen stand so sehr im Vordergrund, daß die übrigen Rubriken stark gekürzt werden mußten, sofern sie überhaupt noch berücksichtigt werden konnten.
Kriegs - Propaganda:
Liest man die einschlägigen Artikel als jemand, der die Zeit nicht bewußt erleben "mußte", im Abstand von Jahrzehnten und mit dem Wissen, wie es war und wie es endete, so muß man feststellen, daß man offensichtlich nicht darum herumkam, ein zutreffendes Bild der desolaten Kriegslage zu vermitteln, stereotyp verbrämt mit propagandistischen Zusätzen. So war die erste Seite der Nr. 1 des neuen Jahres der moralischen Aufrüstung der Bevölkerung gewidmet unter der Schlagzeile: Der Führer hat uns alle aufgerufen "Nicht zu erlahmen und der Führung der Bewegung zu vertrauen". Die erste Aufgabe der Propaganda schien zu sein, der Bevölkerung Mut zu machen zum Durchhalten, nun, da der Feind die Lufthoheit über dem Reich inne hatte, die Städte zerstörte, die Zivilbevölkerung terrorisierte und die Grenzen überschritt. So äußerte sich Hitler in seiner Neujahrsansprache: "... es ist eine Eigenart der Deutschen, daß sie die Neigung haben, sich geschlagen zu geben, sobald ihre Grenzen bedroht sind. Sie geben auf, bevor wir noch den letzten Einsatz spielen ..."; eine seltsame Wortwahl angesichts der drohenden, schon sicheren größten Katastrophe in der deutschen Geschichte. Am 24. Jänner: "Gegen die Vernichtung setzen wir den Glauben. Gegen den Terror der Masse treten wir mit der Gewißheit der Unsterblichkeit des deutschen Herzens an!" Zur Erhebung des deutschen Herzens stiftete der Führer als höchste Tapferkeitsauszeichnung einen neuen Orden: "Goldenes Eichenlaub mit Schwertern und Brillanten zum Ritterkreuz des E. K."; sie sollte im ganzen höchstens zwölfmal verliehen werden; als erster erhielt am 1. Januar 45 den Orden Oberstleutnant Hans Ulrich Rudel und wurde gleichzeitig zum Oberst befördert.
Kriegsverlauf:
Die Ardennenoffensive im Dezember 44 war der letzte Versuch des NS-Regimes, wieder die militärische Initiative zu übernehmen, und brachte durch das Überraschungsmoment auch einige Wochen Erfolg, der wenigstens den Jahreswechsel überdauerte. So wurden zu Beginn des Monats deutsche Erfolge an den Fronten gemeldet: "Ost- und Westfront kämpfen erfolgreich ...". Zur Monatsmitte steht stärker die Lage im Osten im Vordergrund: "Erbittertes Ringen an der Ostfront ..." - "Verstärkter Feindansturm im Osten ..."; Warschau wird von den deutschen Truppen geräumt, um Oppeln und Gleiwitz wird heftig gekämpft; ebeso um die "Oderstadt Breslau - Fels im Sturm ...".
Bombenterror:
Konrad Henlein konnte in seiner Neujahrsbotschaft nicht umhin, zuzugeben: "... Auch an unsere engere Heimat ist in den vergangenen Monaten der Krieg näher herangerückt. Auch in unseren Städten und Dörfern beklagen wir zahlreiche Opfer ...". Aber stärker als diese traf es natürlich die Großstädte wie Nürnberg, wo nicht nur "große Häuserschäden und Verluste unter der Zivilbevölkerung" zu beklagen waren, sondern auch "unersetzliche Kleinodien" verloren gingen. Die Propaganda-Ermutigung wird angehängt: "Nürnberg trägt sein Schicksal gefaßt". Auch in München werden von den "anglo-amerikanischen Luftgangstern ...unersetzliche Kulturwerte, Stätten der Wissenschaft und Kunst zerstört". "Das tausendjährige Ulm klagt an", Magdeburgs Dom steht nur mehr inmitten von Trümmern.
Wegen der anhaltenden "Terrorangriffe" wird ununterbrochen, fast in jeder Ausgabe, auf die Pflicht zu sorgfältigster Verdunkelung hingewiesen. Ein "Verdunkelungssünder" kann nicht mit Nachsicht rechnen, er "macht sich des fahrlässigen Landesverrats schuldig" und wird sich "strengstens zu verantworten haben".
Einsatz der Jugend:
Die deutschen Verbände litten 1944 nicht nur unter einem eklatanten Mangel an Treibstoff, Waffen, Munition ..., sondern auch an Soldaten, so daß nun die Propaganda immer mehr auf den "freiwilligen" Kriegseinsatz der Hitlerjugend setzte: "Fronthilfe und Kriegseinsatz - Die deutsche Jugend geht für Adolf Hitler durchs Feuer". ..."Im Jahre 1944", erklärte Reichsjugendführer Axmann, "hat mit unserem Volk auch seine Jugend eine sehr schwere und harte Belastungsprobe erfolgreich bestanden. Symbolhaft für den Geist und die Einsatzbereitschaft der deutschen Jugend im sechsten Kriegsjahre seien schlechthin der Stellungsbau und Schanzdienst geworden, den nahezu 400 000 Jungen an den vom Feind bedrohten Grenzen aufnahmen ..."
Sammlung für den Krieg:
Der Mangel an allen möglichen Ausrüstungsgegenständen schien bedeutend zu sein, denn die Liste der Gegenstände, welche gespendet werden sollten, umfaßte eine halbe Seite: "Deutsches Volk, rüste deine Kämpfer aus / Aufruf zur Sammlung von Kleidung und Ausrüstungsgegenständen für die Wehrmacht und den deutschen Volkssturm".- " ... Gebt alles Entbehrliche der kämpfenden Front ..."
Vertreibung:
Bevor die Egerer ausgeraubt aus ihrer Heimat vertrieben wurden, mußten sie dies schon von den Deutschen im Banat lesen, wobei sie sicher nicht für möglich halten konnten, daß ihnen das gleiche Schicksal beschieden sien könnte: "Nach 200 Jahren zurück ins Reich / Der Treck des deutschen Bauern aus dem Banat". "... Mit 780 Wagen sind diese Deutschen aus ihrer Heimat fortgezogen, um sich vor den anstürmenden Sowjets zu retten. ...Wenn man all sein Hab und Gut zurückläßt ...- dann bricht schier das Herz. Doch sind alle diese Menschen von der Nüchternheit und Sachlichkeit, die den echten Bauern kennzeichnen. Es muß sein! Dieser Satz steht bei ihnen fest. Und dann fällt man nicht in langes Lamentieren, Weinen und Sinnieren. ... In einem festen, unerschütterlichen Glauben an den deutschen Endsieg ziehen diese Bauern in das Reich. ...solange das Reich noch solche Soldaten hat ... wird uns der Sieg nicht zu nehmen sein." Sollte dieser Propaganda-Trost noch auf viel Glauben gestoßen sein?
Post/Bahnverkehr:
Die vielfältigsten Einschränkungen hinsichtlich Nahrungsmitteln, Konsumgütern, Dienstleistungen und Arbeitseinsätzen hatten die Bürger schon zu bewältigen, aber sie setzten sich weiter fort. So gab es nun neue Regelungen für die Postdienstleistungen und den Bahnverkehr. "Die neuen Reisebeschränkungen - ...nur dringendste Dienstreisen zugelassen"; "Einschränkung in der Postbeförderung - Nur noch die gewöhnliche Postkarte auf weite Entfernungen"; "Die neue Kriegsregelung des Postverkehrs - Wer darf noch Fern-Briefe versenden?"
Die Gefallenen:
Alle Einschränkungen im Alltagsleben waren wohl Banalitäten gegenüber der Angst der Daheimgebliebenen um Leben und Gesundheit ihrer Angehörigen an den Fronten. Die Verwundungen, Verstümmelungen wurden nicht dokumentiert, nur die Gefallenen: 147 Todes-Anzeigen von Männern, die den Heldentod starben, sind in der EZ des Januar 45 zu lesen.